Dienstag, 11. Dezember 2007

Zweiter Blick - Jan Ahlers

„Langsam, Schritt für Schritt, gehe ich vorwärts. Das Wasser steht mir bis zum Bauchnabel. Ich kämpfe gegen die Strömung an. Jeden Schritt gehe ich mit Vorsicht, denn die Steine unter mir laden zum Ausrutschen ein. Links und rechts Urwald. So dichter Urwald, dass es unmöglich ist, sich einen Weg hindurch zu schlagen, so dichter Urwald, dass man sich nur den Flusslauf hinaufkämpfen kann. Ich drehe mich um. Hinter mir Tim, Gregor und Daniel. Auch sie schauen eher verbissen als wander-freudig aus. Ein Paar stechfreudige Mücken umschwirren uns. Es ist schwül. Welch ein Dschungel-Gefühl. Hinter der naechsten Biegung kommt ein Flussbett. Der Rest der kleinen Gruppe rastet dort. Fast alle leeren ihre Gummistiefel aus. Mir ist das zu anstrengend, schliesslich wird in 2min das Wasser eh wieder bis zur Hüfte stehen...“

Das war eine kleine Impression von einer Dschungeltour, die ich mit den oben genannten Kollegen und noch vier Ecuadorianer unternommen habe. Wir sind morgens um 4:00h mit einem Pick-Up losgefahren. Wir natuerlich hinten auf der Ladefläche, was auf den ecuadorianischen Straßen nicht unbedingt zum Weiterschlafen einlädt. Nach knapp einer 3stündigen Fahrt kamen wir an. Ich weiß nicht mal, wie das Loch...*räusper*...das Dorf heißt, wo wir gelandet waren.
Von dort fuhren wir in einem 10m Einbaum-Kanu einen großen Fluss hinauf bis zu einem Zufluss, den wir dann zu Fuß hinaufwateten. Wir waren auf der Suche nach Wasserfällen, die nach der präzisen Angabe eines Ecuadorianers „ganz sicher nach einer Stunde Fußmarsch“ zu erreichen sind. Nach doch schon dreieinhalb Stunden Kampf mit diversen Stromschnellen kamen wir total fertig an dem ersten kleinen Wasserfall an, ca 1m hoch. Diese gigantische Entdeckung befriedigte uns voll und ganz, sodass wir mit stolzer Brust zurueckwateten. Naja, fast. Der Wasserfall war natürlich sehr mickrig, aber der weitere Weg wäre zu gefährlich gewesen, zudem mussten wir den Rückweg antreten, um noch vor der Dunkelheit wieder im Dorf zu sein. Insgesamt waren wir sieben volle Stunden zu Fuß in dem Fluß unterwegs. Die ganze Zeit mindestens bis zu den Knien, oft bis zur Hüfte und teilweise bis zur Brust im Wasser. Das zerrt gut an den Kräften. Aber zumindest war der Weg den großen Fluss zum Dorf hinunter zurück eine sehr gemuetliche Angelegenheit, da wir auf Floßen aus zusammengebundenen Holzbrettern, die so transportiert werden, hinuntertrieben. Auch eine neue interessante Erfahrung.


„Die Sonne brennt mir auf meine mittlerweileschon etwas längere Haarpracht. Die Sportstunde ist fast vorbei. Die Kinder der 2. Klasse haben anscheinend frueher Pause, denn sie tollen schon über den Schulfhof. Ich erblicke ein Mädchen aus eben der Klasse. Mit einem Lächeln aus ihrem nahezu zahnlosen Mund rennt sie winkend einen kleinen Abhang hinunter und schreit „Holaaa Profeee“ („Profeee“ = Profesor). Ich konnte das Unheil förmlich voraussehen: Sie stolpert unbeholfen über ihre krummen Beine und packt sich auf den harten Boden.“

Neben meinem Hauptberuf (Lehrer) birgt jeder Tag neue Überraschungen und Berufsperspektiven. So ist der Einsatz als Erste-Hilfe-Sanitäter, Tröster, aber auch Betreuer von schwer erziehbaren, zurückgebliebenen oder geistig behinderten Kinder keine Seltenheit. Das genannte Mädchen, zum Beispiel, ist total lieb, aber nicht ganz auf der Höhe der anderen Zweitklässler. Sie kann keinen Stift halten, geschweige denn schreiben. Wenn sie im Unterricht sitzt, ist sie am Sabbern. Und zudem hat sie eine ziemlich krumme Beinstellung, was des Öfteren einen Sturz zur Folge hat. Einmal saß sie alleine auf ihrer Bank, ich setzte mich zu ihr und lachte sie freundlich an. Sie lachte mit ihrem zahnlosen Mund zurück. Nur wenige Zehntelsekunden änderte sich aus heiterem Himmel ihre Mimik und sie fing an zu heulen. Natürlich versuchte ich sie zu trösten, aber es half alles nichts. Sie heulte einfach weiter und schlug mit ihren kleinen, dreckigen Händchen auf meine Schulter. Ich wollte gerade schon resigniert aufstehen und sie heulen lassen, als sie wie auf Knopfdruck aufhörte zu weinen, mich wieder angrinste und vergnügt an ihrem Bleistift lutschte. Ich habe keine Ahnung, was ihr genau fehlt, aber eigentlich gehört so ein Mädchen auf eine Schule, wo man sich speziell um sie kümmern kann, die Mitschüler sie nicht den ganzen Tag mobben und die Lehrer sie nicht aufgeben. Solch eine spezielle Schule gibt es Puerto Quito und sie kostet nicht mal extra Schulgeld, aber offensichtlich stört es der Mutter nicht besonders oder sie sieht nicht, dass ihr Kind anders ist.

Wenn ich einigen Kindern bei mir in der Schule in die Augen schaue, dann frage ich mich manchmal „Warum musst du in diesem tristen Dorf [La Abundancia] groß werden?“ und wünsche mir oft einfach „Wie gern würde ich dir ein Flugticket nach Deutschland schenken!“. Manchen Kindern sieht man die theoretische Fähigkeit, etwas zu erreichen, schon in der ersten Klasse mit einem Blick in die Augen an. Aber teilweise genügt schon ein Lächeln von ihnen und man erblickt eine schön gleichmaessig verfaulte Zahnreihe. Das sind natürlich noch die Milchzaehne, aber wenn die Eltern schon da nicht auf eine angemessene Zahnpflege achten, dann wird es sich später bestimmt nicht ändern, zudem die Fäule ja die kommenden Zaehne angreift. Die Lehrer mahnen zwar immer „Putzt euch die Zaehne!“, aber letztendlich liegt es mal wieder an der Inkompetenz der Eltern, dass ihren Kindern eine Zukunft verbaut wird. Und wenn ein Kind mit Zahnschmerzen zu seiner Mutter geht (manchmal kommen sie sogar zu mir, doch was kann ich da tun?), dann gibt sie ihrem Kind eine Tablette und gut ist. Es ist erstaunlich, wie bei jedem kleinsten Wehwehchen eine eingenommen wird. Selbst wenn ein Kind nur eine kleine Beule hat, bekommt es eine Tablette. Ich weiß nicht, woher dieser Drang, ständig ein Wunderheilmittel zu schlucken, kommt. Vielleicht ist ja die Werbung der Pharmakonzerne im Fernsehen so gut, welches die Ecuadorianer den ganzen Tag am laufen haben.

Sowieso ist das Verhältnis des Ecuadorianers zum Fernsehen komisch. Es laufen Filme und Serien ecuadorianischer, kolumbianischer, mexikanischer oder amerikanischer Produktion. Egal woher die Produktionen kommen, in jeder wird ein Lebenstil und eine Welt gezeigt, die weit über den Standard des Durchschnitts-Ecuadorianer hinausgeht. Das scheint diesen jedoch in keinster Weise anzuspornen etwas zu verbessern. Eine mögliche Erklärung wäre natürlich, dass sie, wenn sie das Leben der westlichen Welt sehen, resignieren und sich sagen „Wozu anstrengen, das schaffe ich doch eh nie!?“ Dabei könnten sie mit so wenigen Handgriffen ihr Leben verbessern.
Ein Beispiel: In einem Dorf zweier Mit-Zivis guckte eine ganze Straße über 10 Jahre auf eine hässliche, mit Schmutz und stümperhaft aufgetragener Farbe befleckte Mauer einer Schule. Sie sind zu keinem Zeitpunkt darauf gekommen, einen Nachmittag Hand anzulegen und eine neue, frische Bemalung in Angriff zu nehmen. Stattdessen saßen sie jahrelang einfach nur davor und taten nichts. Selbst als wir anfingen (intelligenter Weise während der heißesten Mittagshitze) die Wand zu säubern und neu zu streichen, saßen die Anwohner einfach nur rum und guckten schon fast verdutzt, was wir den mit der Aktion bewirken wollten. Jetzt erstrahlt die Wand in einem freundlichen Weiß mit blauen Mustern und einige Anwohner sagten uns bereits, dass das echt gut aussehen würde. Aber selbst drauf kommen???

Das Anstreichen von Wänden ist aber nur eine von vielen Tätigkeiten, die am Nachmittag auf uns warten. In der letzten Zeit haben Flo und ich an vielen Nachmittagen Felder für die Kühe prepariert. Das sieht dann folgender Maßen aus: Bäume werden mit der Machete gefällt und auf 2m Stücke zurechtgeschlagen. Diese Arbeit verursachte besonders am Anfang ganz gewaltige Blasen an der gesamten Handinnenfläche, mittlerweile überzieht eine lederähnliche Hornhaut unsere „Arbeitsgeräte“. Dann werden in einem 3m Abstand 40cm tiefe Löcher gegraben, die Stämme eingesetzt und die Löcher wieder zugeschüttet. Danach werden drei Bahnen von Stacheldraht schön straff mit Krampen an den Stämmen befestigt. Und wenn man das auf einer Strecke von 50-100m machen muss, hat man erstmal gut zu tun. Wenn uns jemand nach diesem Jahr fragt, wie wir denn für eine bessere Welt gekämpft hätten, würde unsere Antwort „Wir haben kilometerweise Stacheldraht verlegt.“ nicht unbedingt den sozialen Charakter des Jahres unterstreichen. Deswegen habe ich mich nach langen Überlegungen dazu entschlossen, einen Englischkurs für frei- und lernwillige Schüler an zwei Nachmittagen der Woche anzubieten. Als ich mit dieser Idee an meine Direktorin herantrat, überrollte mich zuerst einmal wieder ihre Vorstellung, dass wir Zivis „arbeitswütige, willenlose und vorallem kostenlose Arbeitstiere“ seien. Ich sprach nur das Wort „Nachmittagsunterricht“ aus und sie konterte: „Klasse Idee, dann am besten dreimal die Woche für die 5. bis 7. Klasse und alle aus dem Dorf, die freiwillig noch Englisch lernen wollen.“ Freundlich, aber mit Nachdruck, erklärte ich ihr, dass ich nur maximal zweimal in der Woche nachmittags unterrichten werde, da ich noch auf der Finca soviel Arbeit habe. Zudem werde ich nur 6. bis 7. Klasse und keinen Freiwilligen aus dem Dorf den Kurs anbieten. Und ich nehme mir das Recht heraus, Schüler nach eigenem Ermessen und ohne Erklärung aus dem Kurs rauszuschmeissen, wenn mir danach ist. Denn warum sollte ich Schülern am Nachmittag versuchen Englisch beizubringen, wenn ich sehe, dass sie am Vormittag absolut kein Interesse zeigen?? Und genau so verfahre ich seit einigen Wochen immer Montags und Mittwochs und bis jetzt läuft es einigermaßen gut, wenn auch nicht der vorher angedachte Lernerfolg eintritt. Es macht mir echt Spaß mit den Kindern zu arbeiten, aber zumindest sollten sie für all das, was ich ihnen gebe, mir auch mal durch Lernen etwas zurückgeben. Ich mache das Ganze zwar freiwillig, aber wenn es umsonst ist, ist mir die Zeit auch zu kostbar.


„Englischunterricht mit der 2. Klasse. Früher mal ein Horror. Heute auch noch, aber mir ist es mittlerweile egal. Die erste Doppelstunde neigt sich dem Ende zu und ich bin zufrieden. Zufrieden mit mir und zufrieden mit der Stunde. Denn die Kinder waren einigermaßen kooperativ, haben sich nicht gegenseitig umgebracht und der Geräuschpegel blieb auch knapp unter der gesundheitsschädlichen Maximallautstärke. Plötzlich kommt eine Mutter rein, geht zu ihrem Jungen, zerrt es am Arm und sagt, dass er sein Heft rausnehmen und abschreiben soll. Er fängt an zu weinen und die Mutter geht wieder raus. Ich denke mir im Stillen „Klasse, jetzt sorgt endlich mal eine Mutter dafür, dass ihr Kind in der Stunde mitarbeitet.“, aber 1min später kommt sie wieder rein mit einer Weidenrute in der Hand. Der Junge hat immernoch nicht sein Heft rausgeholt. Also drischt die Mutter auf den Jungen ein bis die Weidenrute zweimal gebrochen ist. Ich stehe völlig überrumpelt und perplex daneben. Der Junge fängt selbst jetzt nicht an, sein Heft rauszuholen. Die Mutter greift zum Gürtel und schlägt zweimal zu. Und endlich, endlich holt der Junge unter Tränen sein Heft hervor und fängt an abzuschreiben. Die Mutter verlässt den Klassenraum und zurückbleibt eine mittlerweile SEHR stille Klassengemeinschaft und ein sehr verdutzter Lehrer (Ich).“

Für alle, die dieses nun lesen, mag es sehr brutal klingen und ihr fragt euch bestimmt, warum ich nicht eingegriffen habe. Aber das Ganze ging so schnell vonstatten und der Überraschungseffekt war für mich so groß, dass ich einfach nicht angemessen reagieren konnte. Wer rechnet denn damit, dass, wenn eine Mutter reinkommt, sie anfängt vor der gesamten Klasse ihr Kind zu prügeln?? Wenn sowas das nächste Mal passiert, werde ich mit Sicherheit anders reagieren und die Mutter entfernen, denn während meines Unterrichts bin ja schließlich ICH der Boss.
Manchmal kommt es vor, dass man sich als Lehrer bei den ganz schwierigen Fällen auch eine Weidenrute herbeiwünscht, aber dann dreht man sich um und erblickt andere Schüler, die teilweise mit Narben versehen rumlaufen und man erkennt, dass Prügel zwar einen kurzfristigen Erfolg haben kann, aber langfristig psychisch und physisch absolut zerstörend für die Entwicklung des Kindes ist.

Nach nun schon mehr als drei Monaten in Puerto Quito verfliegt allmählich der Nebel des „Wow“-Effekts und man lernt die Realtität mehr und mehr kennen. Zu der Realität gehört auch ganz offensichtlich die Gewalt an Kindern. Die prügelnde Mutter in dem Klassenraum war eine der selten öffentlichen Erziehungsmethoden. Meist geschieht dieses hinter verschlossenen Türen zu Hause. Zu erkennen nur daran, dass nicht wenige Kinder Narben am Körper tragen. Vornehmlich an Rücken, Arme, aber auch im Gesicht. Der meistbenutzte Prügelgestand ist mit Sicherheit der Gürtel. Aber auch dort gibt es Unterschiede. So sagte mir eine Mutter aus Puerto Quito, dass sie ihren Sohn nur mit dem einmal gefaltetenGürtel züchtigt, also nicht mit der Metallschnalle. (Ich darf anmerken, dass der Sohn auch schon ganze 4 Jahre alt ist und in dem Alter bestimmt schon weiß, was er tun oder lassen sollte...) Aber andere Eltern benutzen auch ganz bewusst die Metallschnalle, denn das Kind muss ja auch merken, dass das Leben weh tun kann. Und die Gründe dazu sind oft mehr als trivial. So höre ich des Öfteren im Sportunterricht den Satz „Ich kann nicht mitspielen, ich darf mich nicht schmutzig machen, sonst haut mich Mama.“. Und man kann wirklich nicht behaupten, dass die Kinder oder ihre Eltern hier einen Wasch- oder Reinheitszwang hätten.

Ich bin mit Sicherheit kein Fan von einer antiautoritären Erziehung und auch eine liebevolle Backpfeife kann bei wirklich bösartigen Streichen durchaus angebracht sein, aber so schnell wie hier manche Eltern zum Gürtel greifen und froh und munter alles Liebenswerte aus ihren Kindern herausprügeln, sollte es nicht sein. Merken die Menschen denn nicht, dass solche Gewaltexzesse in ihren Kindern mehr zerstören als nur durch die Narben sichtbar??

Einer der Gründe ist u.a. das Alkoholproblem. So sieht man häufig schon zur Mittagszeit drei bis vier Männer an der Straße sitzen und Bier trinken. Alkohol ist halt leider ein guter Freund um den Tag schnell rumzukriegen, wenn man eh nichts zu tun hat. Und so gehen Tag für Tag Dollar für Dollar in den Alkoholkonsum und die Kinder haben keinen Stift zum Schreiben.

Neben Kindesmisshandlung und Alkoholmissbrauch spielen aber noch Zwangsehen und Vergewaltigungen eine traurige Rolle. Die Zwangsehe ist hier in den meisten Fällen nicht wie in den muslimischen Gesellschaften, dass ein Vater seine Tochter einem anderen Mann verspricht. Hier ist sie meist eher durch wirtschaftliche Abhängigkeit gekennzeichnet. Ein paar reale Beispiele:

1.Eine Mutter mit ihren Töchtern wird von ihrem Mann alleine gelassen. Da sie selbst nicht für den Lebensunterhalt aufkommen kann, heiratet sie einen Mann, der sich halt gerade anbietet. Der arbeitet dann ein Minimum, lässt sich in seinem neuen Zuhause rundum versorgen und schläft nicht nur mit der Mutter, sondern vergewaltigt auch noch die beiden Töchter. Die Mutter weiß davon, kann aber nicht zur Polizei gehen, da sie sonst wieder nicht für den Lebensunterhalt sorgen kann.
2.Eine junge Frau im Alter 21 Jahren wird von einem Pferd getreten und bekommt in Folge dessen querschnittsähnliche Lehmungen. Da weder sie sich selbst noch ihre Familie sie durchfüttern kann, trifft Amors Pfeil einen aufopferungsvollen Mann in dem jungen Alter von 53, der sie sofort heiratet. Nur ob da wirklich Liebe im Spiel ist?
3.Fälle, dass ein Mann mit mehr als einer Frau zusammenlebt, oder dass ein über 60jähriger Mann das Glück hatte, das Herz eines 17jährigen Mädchens zu erobern.

Teilweise nehmen manche Fälle schon Züge von Sklaverei an. Vorallem den Punkt der Vergewaltigung könnte ich noch mit mehreren Beispielen unterstreichen, aber ich will die Gemüter meiner Leser nicht überstrapazieren.
Das eigentlich Erschreckende ist die Tatsache, dass so viele Fälle Teil des Gemeinwissens der Bevölkerung hier ist, aber niemand irgendwas unternimmt. Es gehen Gerüchte um, dass in dem örtlichen Bordell Minderjährige arbeiten. Aber die Polizei denkt nicht mal daran, dort zu kontrollieren. Es gab vor einigen Monaten einen Fall von einer Vergewaltigung mit Todesfolgen wenige Hundert Meter von der Polizeistation entfernt, aber die Zeitung aus Puerto Quito berichtet lieber von Öko- oder Tourismusprojekten in der Region und selbst regionale Fernsehkanäle berichten nur in aller Ausführlichkeit von einer in Spanien von einem Rassisten getretene Ecuadorianerin.

Wir haben das Problem erkannt, doch können wir schlecht z.B. eine Informationskampagne gegen Kindesmisshandlung oder Vergewaltigung starten, denn schliesslich sind wir hier nur Gäste und wollen noch min. 6 Monate gut mit den Menschen auskommen und ihnen (zumindest jetzt noch) nicht auf die Füße treten. Mal schauen was wir in der Hinsicht noch unternehmen können.

Es gibt noch viel zu tun in diesem Land und auch in diesem Dorf. Wir und auch die zukünftigen Zivis werden auf keinen Fall Langeweile bekommen. Ich muss sagen, jetzt, wo ich schon ein bisschen mehr von Ecuador gesehen habe, dass Puerto Quito noch ein ziemlich entwickeltes und, durch die Schnellstraße, ein gut angebundenes Dorf ist. Es gibt viele Dörfe in den Wäldern, wo man noch nie einen Weißen gesehen hat.
Auch in andere Hinsicht lebt Puerto Quito nicht „hinterm Berg“, denn das Problem der Umweltverschmutzung ist erkannt und es gibt immer mehr Menschen, die erkennen, dass z.B. der Hauptfluss durch das Dorf, der Rio Caoni, verschmutzt ist und man alle Bemühung tätigen muss, um ihn nicht weiter zu verschmutzen. Es gibt sogar Wiederaufforstungsprojekte der Gemeindeverwaltung, was allerdings kritisch betrachtet werden muss: Vor 35-40 Jahren war hier noch alles von Urwald bedeckt. Dann gab es ein Gesetz, dass Landbesitzer enteignet werden würden, wenn sie nicht min. 50% ihrer Fläche roden und ackerbar machen würden. Wenn man heute durch den Kanton Puerto Quito fährt, dann erblickt man kaum noch Waldflächen, geschweige denn unangetasteten Urwald. In der Zeit der großen Rodungen machte u.a. auch ein Ehepaar mit ihrer Holzfirma dick Kohle mit der Rodung und dem Verkauf von Holz. Und, wie es das Schicksal so will, ist die Ehefrau heute die Bürgermeisterin des Kantons Puerto Quito, lässt sich, wo es geht selbst, feiern und stellt in jedem noch so kleinen Dorf für insgesamt einige Zehntausend Dollar Schilder mit ihrem Namen und ihrer Amtszeit auf. Aufgrund dieser Vorgeschichte muss man die in ihrem Namen gestarteten Aufforstungsprojekte sehr kritisch betrachten. Ebenfalls zweifelhaft müssen ihre Wahlkampfmethoden in dem Jahr 2005 gewesen sein. So war wohl das einzig schlagende Argument Alkohol. Sie liess nämlich in dem gesamten Kanton in allen Dörfern Freibier ausschenken, was der versoffen Dorfbevölkerungen natürlich sehr gefiel.
Und erst gestern kam mir durch einige Erzhählungen zu Ohren, dass die Bürgermeisterin wohl in ganz großem Maße ihren Hals in der Korruption stecken hat. Nicht, dass ich sie vorher als „sauber“ angesehen hätte, aber dass sie anscheinend eine Rechnung von 20.000$ auf 40.000$ fälschen liess, um davon 17.000$ in die eigene Tasche zu stecken, ist eine andere Ebene von Korruption, die hier in Ecuador fast von jedem überall betrieben wird.

Es ist wie mit dem Spanischen: Jeden Tag lernt man ein bisschen mehr hinzu, jeden Tag sieht man die Dinge ein wenig klarer. Und jeder Tag wird genossen, denn die Zeit rennt. Nun ist schon Nikolaus vorbei, Weihnachten und Silvester stehen vor der Tür und einen Augenblick später, nämlich Mitte Januar ist die Hälfte unserer Dienstzeit rum. Wir Deutschen werden uns demnächst in kleiner Runde mal zusammensetzen und gucken, inwiefern wir hier die Leute in Sachen Kindesmisshandlung und Korruption aufrütteln können. Wir dürfen auf keinen Fall auf die Hilfe von Einheimischen bauen, denn selbst der aufgeschlossene, vom Tourismus profitierende Teil der Bevölkerung versucht nur zu überleben und hat bestimmt nicht die Absicht Wellen zu schlagen. Aber für Veränderungen braucht muss man die Menschen aufrütteln und genau da sind wir gefragt! (Natürlich nur soweit, wie es unsere eigene Sicherheit und das friedliche, freundschaftliche Zusammenleben hier in Puerto Quito nicht gefährdet!!!)

Ich liege gerade in der Hängematte und der Schweiss rinnt mir schon den Stirn hinunter. Allerdings müssen wir vor der erfrischenden Wasserfalldusche erstmal einige Dutzend Zuckerrohrpflanzen einbuddeln. Also Leute, geniesst die Weihnachtszeit im Kreise der Familie, streitet euch nicht, seid harmonisch und lasst euch von der Kälte nicht unterkriegen!


Mit den besten Grüßen,

Jan



PS: Eine kleine, gemeine Info am Rande: Auch hier wird es Winter. Das heisst allerdings, dass es wärmer und sonniger wird. Temperaturen über 30° C sind keine Seltenheit. Und der einsetzende Starkregen am Nachmittag bringt nur die nötige Abkühlung =)

Dienstag, 16. Oktober 2007

Ein-Blick

Regentropfen trommeln auf das Dach. Noch im Traumland verweilend, drehe ich mich nach links und öffne die Augen in der Erwartung, meinen Schreibtisch und aus dem Fenster die verregnete Straße zu sehen. Doch was ich sehe, ist mein rosa Moskitonetz. Schnell holt mich die Realitaet ein, dass ich nicht in Deutschland bin, sondern auf einer Finca in einem Primärwald, unendlich viele Kilometer von der nächsten Zivilisation entfernt, aber nur 15km nördlich des Äquators.

Der erste Blick aus dem Moskitonetz überfliegt die Umgebung, erst einmal die Lage sondieren. Viel gibt es nicht zu sehen: Einen Stuhl, einen Holzblock, wo eine heruntergebrannte Kerze und 2 benutzte Streichhölzer liegen. Das wars. Dieses ist seit ein paar Nächten mein neues Zimmer.
Da Flos Freundin bis Ende November auch mit uns auf der Finca wohnt, teilen die beiden sich eine Cabana und ich durfte in die neue, fast fertig gestellte ziehen. Und ich muss sagen, ich bin echt froh darueber. Der Raum ist zwar mit 12m² etwas kleiner als mein vorheriger, aber sehr gemuetlich. Ich habe nun eine 24m² große Veranda, wo in naher Zukunft bis zu 5 Haengematte haengen werden. Das Beste allerdings ist das Dach, welches im Gegensatz zu der alten Cabana, vernuenftig aus Holzbrettern beschlagen mit dicker Metallfolie absolut regendicht und sauber ist. Ich zaehle auch den etwas lauteren Klang der Regentropfen auf der Metallfolie zu gesteigertem Luxus, da es einfach sehr angenehm beim Einschlafen ist.

Langsam steige ich aus dem Bett. Ich schlafe hier immer wie ein Stein. Vielleicht liegt es an dem Bett selber: Metallgerüst, grob zurecht gesägte Bretter als Lattenrost und eine 10cm Schaumstoffmatraze. Hört sich hart an, ist es auch, aber Rückenschmerzen hatte ich hier noch nie.
Der morgendliche Regen und der über dem Wald hängende Nebel lassen eine Luftfeuchtigkeit nahe der 100% Marke erahnen. Ich gehe auf meine Luxusveranda und kann mich zu etwas Morgensport in Form von Liegestützen überwinden. Es ist 6:05Uhr, die Waldbevölkerung erwacht, Flo und Raina schlafen noch, ich bin fertig mit der Sporteinheit und gehe duschen.
Mir fällt auf, dass sich der Lauf des Wasserfalls über Nacht geändert hat. Zum Winter, also zur Regenzeit hin, wird der Wasserfall noch ordentlich an Wassermenge zunehmen. Dann wird das Duschen noch toller, auch wenn sich der „Wow“-Effekt bereits gelegt hat und Duschen unter einem Wasserfall mittlerweile zu den normalsten Dingen der Welt gehört.



Beim Frühstück setzt uns unserer Gastmutter keinen "leckeren" Tomate de Arbol – Saft („Tomate vom Baum“ ist eine als Obst angesehene Tomate) vor, doch der Grund ist nicht etwa die Einsicht, dass der Saft, vornehm ausgedrückt, nicht so gut schmeckt, sondern dass es keinen Strom heute gibt. Mal wieder und wie sooft in hier. Vielleicht lag es ja an den Erdstößen vom Vorabend, welche uns kurz innehalten ließen. Vielleicht auch einfach an der Inkompetenz irgendeines Mitarbeiters der Stromwerke. Aber zum Thema “Inkompetenz – Volkskrankheit oder Volkswille?” komme ich später. So ein Stromausfall beeinträchtigt das Leben hier allerdings kaum, denn was außer Fernseher und Saftmixer wird denn von Strom betrieben? Die Abhängigkeit von dieser neumodischen Erfindung namens Strom ist hier doch noch sehr gering.

Auf dem 10minütigen Fußweg zur Straße überlege ich mir, wie ich die Kinder heute am Besten überleben kann, ohne dass ich schwere seelische und die Biester schwere körperliche Schäden davontragen. Bitte assoziere jetzt nicht das Wort “Unterrichtsvorbeitung” mit meinen morgendlichen Gedanken, da es sich zum einen eher um “Schlachtpläne” oder “Überlebensanleitungen” handelt und diese sich zum anderen für den heutigen Tag als völlig unnötig erweisen werden, denn heute hat die “Achse der Inkompetenz” mal wieder zu einer Zusammenkunft gerufen und den normalen Lehrplan außer Kraft gesetzt.. Es ist eine “fiesta”, ein Festtag, angesetzt. Wäre ich ein paranoider Mensch, dann müsste ich diesen Tag als weiteren bösartigen Versuch ansehen, meine kaum zu bändigen Drangeskraft, die Welt zu verbessern, zu sabotieren.
Im Klartext: Heute ist der “Dia de la Bandera”, also der Nationalfeiertag, an dem der Flagge Ecuadors gehuldigt wird. An sich keine schlimme Sache, im Gegensatz, ich würde mich über ein wenig mehr Patriotismus auch in Deutschland freuen, aber hier feiert man sich einfach viel zu oft selber.

Ein paar ausgewählte Beispiele:
- Jeden Montag Morgen wird die Nationalhymne gesungen mit anschliessenden “Es Lebe Ecuador”, “Es Lebe die Schule” oder auch “Es Leben die Lehrer” Rufen.
- Zweimal im Jahr findet der “Dia del Profesor” (Tag des Lehrers) statt, wo sich die Lehrer aller Schulen treffen, Lobeshymnen auf sich selber anstimmen und morgens um 11:00Uhr mit Caipirinha anstoßen.
- Sportfesttage, die über Wochen jeden Freitag stattfinden und die immer schön mit allen vorhandenen Hymnen (Hymne von Ecuador, Hymne von der Provinz Pichincha und Hymne vom Canton Puerto Quito) und auch schonmal mit einem olympischen Fackellauf mit Gummireifenstücken als Brandstoff begonnen werden.
- Spontan einberufene schulinterne Reunions, an der alle Lehrer teilnehmen, die Schüler schulfrei bekommen und 3Stunden über den Kauf von einem Computer, ich will nicht sagen “gefachsimpelt” wird, da eh keiner Ahnung hat, aber alle sich wichtig fühlen und etwas sagen müssen.

Ich habe bis jetzt noch keine Woche erlebt, die normal nach Stundenplan durchlief. Nun gut, ich bin ja auch erst 6 Wochen hier. Aber ich glaube,die “Achse der Inkompetenz” will es auch nicht anders.

Ich sitze also in zwischen all den anderen Lehrern vor dem Schulhof, wo soeben die Kinder der 4.-6. Klasse in einer Reihe mehr oder weniger im Gleichschritt zu den schiefen Klängen der am Vortag gegründeten Schulkapelle einmarschieren und sich in der Hufeisenformation aufstellen. Nach ihnen kommen die Schüler der 7. Klasse mit der Schulfahne, der Fahne des Cantons Puerto Quito und der Fahne Ecuadors aufmarschiert. Nachdem die Schulleiterin eine wichtige Rede, der Polizeichef von “La Abundancia” sich zu Wort gemeldet (ich komme später zu dem Thema “Polizei – Angler und Taxifahrer, ABER wichtig!”) und die Elternvertreterin ein paar Worte ins Mikro gestottert hat, darf jeder Schüler einzelnd zur Ecuador Fahne marschieren und dieser huldigen. Im Anschluss dürfen die Lehrkräfte den Schülern Medaillen und Urkunden übergeben und die gesamte Schülerschaft marschiert wieder unter dem wiederholten Applaus der Lehrer und der anwesenden Eltern vom Platz.

Ich finde dieses Auf- und Abmarschieren so absolut lächerlich, da es ein völlig falsches Bild von der Wirklichkeit wiedergibt, aber die Ecuadorianer scheinen dies zu lieben. Ich weiß nur nicht, ob ihnen bewusst ist, dass ihre Gören alles andere als diszipliniert oder gehorsam sind, geschweige denn in der Schulstunde ruhig sitzen können.

Um 11:00Uhr sind alle Festlichkeiten und somit auch ein weiterer Schultag beendet. Ich mache mich auf den Weg nach Hause und kaufe mir noch mein alltägliches Kokoseis für 10cent bei einem kleinen Tante-Emma-Laden. Gerade will ich mich unter einen Holzverschlag setzen, um die fast senkrecht stehende Sonne zu meiden und auf einen Pickup zu warten, als ein Polizei-Pick-Up vorfährt und mich die Beamten fragen, ob ich nach Hause will.

-----Polizei – Angler und Taxifahrer, ABER wichtig!-----
Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Polizeiauto hier in Ecuador nach Hause fährt. Manchmal wollen die Polizisten einfach nur schnacken, manchmal auch einfach nur mit einem Weißen hinten drauf durch das Dorf fahren. Ich bin daher immer sehr freundlich zu den Polizisten und grüße brav, denn wenn man mal nachts um 22:00h unten in Puerto Quito steht, dann kann es sein, dass sie die einzigen sind, die dich nach Hause fahren werden.
Generell fühlen sich die Polizisten hier sehr wichtig und toll und haben den Drang sich bei jeder Gelegenheit zu repräsentieren. Wenn die Gemeinde oder eine Schule eine Reunion hat, müssen sie dabei sein und am Mikro mitteilen, dass sie da sind; wenn sie durch die Straßen fahren, lassen sie des Öfteren Blaulicht oder die Sirene ertönen, nur damit alle wissen, dass sie da sind (Dies lässt sich nicht nur damit erklären, dass es zur Abschreckung dienen soll, da es in der einen vorhandene Hauptstraße eh keine Kriminalität gibt.); in ihren coolen Pick-Ups veranstalten sie aus Langeweile Wettrundfahrten durch das Dorf; die Beamten laufen in voller Tarn-Kampfmontur und mit übertriebener vor Stolz geschwellten Brust durch die Straßen. Trotz aller Wichtigkeit, sieht man auch mal einen Polizisten mit hochgekrempelter Hose während der Dienstzeit im Fluss stehen, beim Versuch Fische mit einem Faden zu angeln, oder man erklärt ihnen während man nach Hause fährt, dass Deutschland nicht nördlich von Kanada liegt.

Wieder auf der Finca ziehe ich mir Arbeitskleidung an, entspanne noch kurz in der Hängematte bevor es Mittag gibt. Jedes Mal zerreisst mich fast die Spannung, was es wohl heute für ein neues, abwechslungsreiches und leckeres Mahl zu verspeisen gibt. Und heute...Überraschung...Reis mit Huhn. Aber immerhin mit Salat, was den Reis doch um einiges verdaulicher macht. Ich bin nun über 75 Tage in Ecuador und allmählich schmeckt der tägliche Reis gar nicht mehr sooo schlimm. Ich glaube nicht, dass diese wunderliche Wandlung ihre Ursache in einer vielleicht gesteigerten Attraktivität des Reis hat, sondern vielmehr in der Abstumpfung meiner Geschmacksnerven begründet ist, was über das Jahr hinweg das Leben natürlich angenehmer und einfacher macht, nach meiner Rückkehr aber hoffentlich schnell wieder verschwindet.

Nach dem Mittagessen ziehen Stalin, mein Gastbruder, und ich los. Bewaffnet mit Machete und in Gummistiefeln laufen wir die steinigen Feldwege der Finca entlang. Links und rechts abwechselnd Bananenpflanzen, Kakaobäume oder Weideflächen für Kühe. Über uns die fast senkrechte Sonne, unter uns der fast kleinstmöglichste Schatten. Nach 15min Fußweg sind wir an unserem Arbeitsort angekommen. Ein zugewucherter Feldweg, der von allen Pflanzen befreit und mit so kleeartigen Gewächs als Futter für die Kühe bepflanzt werden soll. Die Machete galant führend, säbel ich die ersten 4m Weg in 15min frei. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die stechende Sonne machen sich bemerkbar. Der Körper mutiert zum Wasserspender und der Schweiss brennt in den Augen. In einer kurzen Pause macht mich Stalin auf einen Tucan aufmerksam, der über uns sitzt und eine Papaya mit seinem großen gelben Schnabel frisst. Wenn man hier in der tiefsten Natur kurz innehält, entdeckt man jedes Mal interessante Pflanzen und exotische Vögel. Mittlerweile kann ich Tucane nur an ihren Fressgeräuschen identifizieren und orten, wenn sie irgendwo auf einem Papayabaum hocken, und weiß, dass bei einem signifikanten Surren gleich ein Kolibri zu sehen sein wird.

Nachdem wir einen großen Abschnitt freigeschlagen haben, befreien wir den Erdboden von allen Pflanzen, sodass nur die für die Tropen charakteristische rot-braune Erde zu sehen ist. Mit Hacke und Schaufel graben wir kleiner Löcher, legen vorher abgerissene Kleepflanzen hinein und schütten die Löcher wieder zu. Nach 4 Monaten soll der gesamte Weg mit einer dichten, grünen Kleedecke überzogen sein. Wir werden es erleben.
Nach nur 1,5 Stunden Arbeit sind wir völlig fertig und ausgelaugt. Zurück bei unseren Cabanas nehme ich noch in voller Montur eine Dusche unter dem Wasserfall. Die Wäsche musste eh gewaschen werden und so ist es erheblich leichter (wenn auch vielleicht nicht ganz so sauber), denn mittlerweise weiß ich sehr gut, dass Wäsche per Hand waschen sehr sehr anstrengend ist, da ich es min. zweimal die Woche machen muss. Manchmal muss ich auch die am Vortag gewaschene Wäsche noch einmal waschen, da, wenn die Sonne nicht scheint und die Wäsche unglücklich gefaltet aufgehängt wird, sie anfängt nach Gammel zu stinken.

Nun geht es nach Puerto Quito, denn Flo und ich wollen endlich mal wieder ins Internet und Nachrichten von Hause lesen. Die nassen Klamotten lasse ich an, da sie eh auf der Fahrt mit dem Pickup, der gerade zu hören ist, trocknen und der Tag noch nicht weniger schwül ist. Auf der Fahrt sprechen wir über das, was wir jetzt noch alles im Internet erledigen müssen, wem wir schreiben wollen, von wem wir sehnsüchtig eine Email erwarten. Nachrichten von den Daheimgebliebenen sind für uns jedes Mal wie Weihnachten und Ostern zusammen. Die Bedeutung, die eine kurze Email mit irgendwelchen Beschreibungen, z.B. von Alltagsdingen, die für euch vielleicht als unwichtig oder als nicht schreibenswert angesehen werden, ist für uns immens groß. Dementsprechend gut gelaunt und geladen mit positiver Energie betreten wir das Gelände der Bibliothek, wo es den Internetraum gibt. Die geschlossene Tür lässt die dunklen Wolken, welche über den bewaldeten Hügeln rings um das Dorf aufgezogen sind, auch in unseren Gefühlszustand ziehen. Wir fragen eine Angestellte im benachbarten Raum, was den los sei, warum das Internet heute nicht offen hat, wo wir doch gestern eine eindeutige Zusage bekommen hätten, dass wir heute reinkönnten. Draussen fängt es an zu regnen und aus unseren Augen, nein, wir fangen nicht an zu weinen, aber metaphorisch gewittert es in unseren Köpfen und aus unseren Augen blitzt es gewaltig. Was sich angestaut hat, sind Aggressionen über die Art der Ecuadorianer Dinge zu organisieren. Nämlich gar nicht.

-----Inkompetenz – Volkskrankheit oder Volkswille?-----
Am Vortag wurde uns zugesichert, auch nach zweimaligen Nachfragen, dass wir am folgenden Tag das Internet nutzen können. Dann tritt man den beschwerlichen Weg von der außerhalb gelegenen Finca an (wobei wir noch nichtmal weit weg wohnen, es gibt welche die 2 Stunden von Puerto Quito entfernt wohnen) und dann kann man mal einfach nicht ins Internet. Und warum? Weil alle Gemeindeangenstellten zu einer „Minga“, einer Art Nachbarschaftshilfe oder Arbeitsgemeinschaft, gerufen wurden, um die Bordsteine im Dorf für das morgige Fest weiß zu streichen. Muss man das einen Tag vorher machen? Kann man das nicht vielleicht schon zwei oder drei Wochen vorher erledigt haben? Und wenn man das einen Tag vorher machen will, warum erfahren das die Betroffenen erst so spät? Und warum kann man das nicht Arbeiter machen lassen? Bei einer Arbeitslosenquote von 10%, bei einer Unterbeschäftigung von über 50% und einem Arbeitslohn von 1$ / Stunde (wobei eine Minga ja freiwillig sein sollte) dürfte es sicherlich kein Problem sein, genügend Leute zu finden. Stattdessen ruht das gesamte öffentliche Leben, weil Bordsteine weiß gestrichen werden sollen!?
Ein weiteres Beispiel ist ein Nebenraum der Bibliothek, in dem sieben nagelneue Computer mit allem Zubehör (Drucker, Kopfhörer, Scanner, etc) stehen, der aber noch nie benutzt wurde, weil irgendwo eine Unterschrift fehlt. Und so verlieren die Dinger schon seit 6 Monaten Tag für Tag an Wert, weil sich auch niemand dafür zuständig fühlt. In Deutschland gibt es so einen Sachverhalt massenhaft, dass irgendwo eine Fehlinvestition stattfand oder eine Unterschrift ein Projekt monatelang hinauszögert, aber der Unterschied ist, dass wir uns das in unserem „Land der Bürokratie“ in gewisser Weise leisten können, in diesem Dorf aber für das Geld alle Straßen gepflastert werden könnten.
Und so trifft man hier an vielen Ecken Elemente der „Achse der Inkompetenz“, die verhindern will, dass es in diesem Land bergauf geht. Im Grunde spiegelt der von mir eingeführte Begriff „Achse der Inkompetenz“ nichts anderes als die Mentalität der Ecuadorianer wider, die ich wie folgendes Motto beschreiben würde: „Besser muss es nicht, es reicht doch.“. Wenn ich bei irgendeiner Arbeit die Möglichkeit sehe, etwas besser zu machen, dann wird es besser gemacht. Eine Arbeit ist für mich erst dann erledigt, wenn sie fertig ist und einen gewissen Grad an Perfektion erreicht hat. Der Ecuadorianer allerdings plant ein 2stöckiges Haus, baut das Erdgeschoss ganz, fängt den 1. Stock ein bisschen an, merkt dann entweder „Ahh, ich habe kein Geld mehr“ oder „Ahh, nur das Erdgeschoss reicht mir doch auch“. Und dann steht dort ein weiteres halbfertiges Haus, was unserem Bild von „Ordnung und Sauberkeit“ natürlich total widerspricht. Und da die Ecuadorianer gar nicht das Bedürfnis haben, ihr Leben großartig zu verbessern, haben sie die Zeit und Energie sich des Öfteren selbst zu feiern. Diese Lebenseinstellung hat auch etwas interessantes, aber mir persönlich gefällt die „Das-Maximum-Rausholen“-Mentalität „besser“. Ich möchte dieses Zwischenkapitel mit einem mir persönlich sehr gut gefallenden Zitat von Alexander von Humbold abschliessen:
„Die Ecuadorianer sind seltsame und einmalige Wesen: Sie schlafen ganz ruhig mitten unter knisternder Vulkane, sie leben arm inmitten unermesslicher Reichtümer und sie freuen sich über traurige Musik.“

Frustriert gehen entfernen wir uns von der Bibliothek und gehen in Richtung Zentrum. Auf dem Weg kaufen wir uns zur Abkühlung jeder ein Schokoeis für 10cent und da es noch nicht 17:00h, kaufen wir uns gleich noch ein zweites. Ich kaufe mir zudem noch eine Packung Schokokekse und eine Packung Weißbrot, da ich Abends vor dem zu Bett gehen oft einen kleinen Hunger verspüre und mir heute abend dann in der Cabana ein Bananensandwich machen kann und als Nachtisch 4 Schokokekse gönnen werde. Nun ist es bereits 17:10h und eigentlich sollte der Fitnessraum schon offen haben. Die Bezeichnung „Fitnessraum“ beschreibt in Deutschland meistens einen großen Raum mit gepflegten und sauberen Sportgeräten und an der Theke werden verschiedene Energydrinks und Sportsnacks gepriesen. Hier in Puerto Quito sieht es ein wenig anders aus: eine dunkle Halle, schmutziger, dunkler Betonboden, in der Mitte ein Boxring und 4 funktionstüchtige Sportgeräte, nach deren Benutzung die Hände die Farbe die eines Automechanikers annehmen. Aber wie das Leben so ist, ist auch diese Örtlichkeit heute bis um 17:30h noch geschlossen gewesen, sodass wir abermals enttäuscht und frustriert den Heimweg antreten.

Um 18:00Uhr kommt endlich ein Pick-Up der uns hoch nach Tierra Santa, unserem Wohnrecinto, nimmt. Heute habe ich auch zum 2. Mal meine alte, braune Mütze auf, eigentlich nur, um sie mal etwas zu entlüften, da der Gammelgeruch zu extrem wurde. Zwei Kurven vor Tierra Santa fliegt sie mir in einem unachtsamen Moment vom Kopf. Kein schlimmer Verlust, denke ich mir und lache den hinter uns fahrenden Skoda an. Am Ziel springen wir vom Pick-Up und ich bemerke zu Flo, dass etwas nicht mit dem Skoda hinter uns stimmt, da er unnatürlich langsam fährt. Wir denken uns nichts dabei und treten den 10minütigen Marsch in Richtung Finca an. Nach 2min kommt der Skoda von hinten, hält an und der Beifahrer hält mir meine Mütze entgegen. Ich denke mir nur „Ach welch ein netter Mensch. Ist er extra umgekehrt, um mir meine Mütze zu bringen.“. Doch dann sagt der Typ: „5 Dollar“. Ich sage ihm, dass ich nur 15cent bei mir habe, die Mütze stinkt und nichts wert ist und er sie gerne behalten kann. Maulig dreht er um und fährt von dannen. Ich die Mütze noch in der Hand.
Man muss hier echt aufpassen. Nur weil man weiß ist, gibt es Leute, die denken, dass man Geld in Massen mit sich herumträgt. Aber immerhin habe ich meine verloren gelaubte Mütze wiedererhalten. Die luftige Fahrt hat auch den Gammelgestank ein wenig vertrieben und während des restlichen Weges philosophieren Flo und ich mal wieder über die Probleme der ecuadorianischen Mentalität oder zumindest über die Probleme, die wir in der Mentalität zu sehen glauben.

Zum Abendessen gibt es ... tadaaaaa....Reis mit ein wenig Fleisch, welches ungefähr die Konsistenz von Schuhsohle hat. Zum Nachtisch essen wir Papaya und Ananas und ich nehme mir zwei Bananen von der riesigen Bananenstaude, die frisch in der Küche liegt, mit zur Cabana, um sie mit etwas labbrigem Toastbrot zu dinieren. Wie jeden Abend liegen wir ab ca. 20:00h in unseren Hängematten, hören Musik über unsere Boxen, sprechen über den morgigen Schultag, über Dinge, die wir noch machen wollen, über die Konstruktion neuer Möbel und auch über die noch verbleibende Zeit hier in Ecuador, denn gegen den 21. Oktober haben wir schon ¼ geschafft.

Ich esse noch die Schokoladenkekse, putze mir auf der Veranda die Zähne und gehe dann rüber in meine eigene Cabana, wo ich in meinem spartanischen Zimmer die Kerze entzünde, meine Sachen
über den einen vorhandenen Stuhl lege und die Holzfenster schliesse. Es hat wieder angefangen stärker zu regnen. Das Trommeln auf dem Dach wird ein wenig lauter. Ich puste die Kerze aus, husche ins Bett und stecke das Moskitonetz fest unter die Matraze. Mit geschlossenen Augen klingt der Regen noch intensiver und der Duft der ausgeblasenen Kerze lassen mich ruhig und glücklich einschlafen, denn für ein Jahr lässt es sich hier wirklich gut und entspannt leben, auch wenn ich mich jetzt schon auf Deutschland freue.

Dienstag, 11. September 2007

Ein ganz normaler Tag aus meinem Leben

“Morgens, 6:00Uhr, der Wecker klingelt, ich kann das nervige Klingeln schon fast nicht mehr ertragen, aber so hat man zumindest einen Grund, um aufstehen zu müssen. Noch im Halbschlaf kämpfe ich mich aus dem Moskitonetz, welches mich jede Nacht vor den doch in großen Massen vorhandenen Mücken schützt.
Endlich den Handywecker ausgestellt bekommen, merke ich auch heute, dass das Bett für meine Körpergröße viel zu klein und die Matraze doch nicht die Qualität wie in Deutschland hat. Auch die immer-klammen Klamotten spüre ich wieder auf der Haut. Aber man gewöhnt sich ja an alles.

6:05Uhr, ich schreie zu Flo rüber, der mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat. In einem kurzen Dialog (2-3 Wörter) beschliessen wir, am morgen mal duschen zu gehen. 2min später stehe ich fertig in Boxershorts, Turnschuhen und meinem Schlaf-T-Shirt auf der Veranda, schließe meine Tür ab, da man ja nie weiß, was für Gesocks hier rumläuft (Tim, einem MitZivi, wurden schon Sachen aus seiner Cabana gestohlen). Dann muss ich nochmal 2min auf Flo warten, da er einfach für alles Ewigkeiten braucht. Aber endlich ist auch er duschbereit und wir können losgehen.

Zwei weiße, müde aussehende Menschen schlurfen in der (kurzen) Morgendämmerung durch den allmählich wachwerdenen Tropenwald. Es nieselt ein wenig, aber das stört uns schon nicht mehr, die Sachen sind eh nass und nieseln tut es auch immer. Nach 3min Fußmarsch über den nassen, mit Wurzeln und Blättern übersähten Waldboden, kommen wir bei unserer Dusche an: der Wasserfall. Das herabstürzende Nass sieht mal wieder herrlich unfreundlich so früh am morgen aus. Aber Männer wie wir haben hier schon die Kunst der Überwindung lernen müssen und stürzen uns, nackend und eins mit der Natur, unter den Wasserfall. Die Müdigkeit und der Schlaf werden von dem harten Wasserstrom aus dem Körper geprügelt. Ich finde, es ist jedes Mal ein Abenteuer hier duschen zu gehen, nur braucht Flo auch hier jedes Mal so unendlich viel länger, sodass ich schonmal, während des Wartens, mit aufwachenden Mücken und heimkommenden Fledermäusen zu kämpfen habe. Der anschliessende Rückmarsch ist immerwieder ein Kampf für sich, aber der Gedanke an das bevorstehende Frühstück verleiht Flügel.



Jeden morgen bekommen wir Rührei (aus 2Eiern, mein Cholesterinspiegel erlebt ungeahnte Höhen), kleine Brötchen, heiße Milch mit Kakao von eigenen, glücklichen Kühen und Saft. Heute mag ich den Saft aber mal wieder nicht so gerne, da es, wie sooft, Tomatensaft gibt. Allerdings keinen Tomatensaft, wie man ihn z.B. im Flugzeug serviert bekommt, sondern von einer anderen Tomate, die hier in Ecuador als Frucht angebaut wird. Da es heute aber noch selbstgemachte Schokolade vom Vortag zum Frühstück gibt, kann ich den schlechten Geschmack des Tomatensaftes verdrängen.

Nach dem Frühstück noch mal fix auf das Klo, welches, von unserer Cabana aus gesehen, auf der anderen Seite des Hauses steht und anschliessend auf unserer Veranda Zähne putzen. Unsere Veranda ist eben auch unser Badezimmer und nach dem Zähne putzen spuckt man die Zahnpasta auch einfach in die Natur. Während wir uns fertig machen, behalte ich die Uhr im Auge und treibe Flo zur Eile an. Bis er mit seiner Körperpflege fertig ist, braucht es auch hier immer eine Ewigkeit. Ich lege mich derweilen in die Hängematte und döse noch ein wenig.

Plötzlich hören wir entfernte Motorengeräusche und wissen: Dies ist unsere Chance. Wir springen von der Veranda, den Rucksack in der Hand, immer mit der Hoffnung alles für den Tag dabei zu haben und sprinten zum Feldweg vor dem Haus.
Ein weißer Pickup kommt den Weg heruntergebrettert. Wir schaffen es, ihn zum Anhalten zu bewegen. "La Abundancia" reinrufen, ein Nicken empfangen und wir steigen hinten auf die Ladefläche. Die Fahrt zur asphaltierten Hauptstraße ist diesmal echt ein Abenteuer. Der Gedanke kommt auf, dass der Fahrer betrunken ist und nur die Rutschfestigkeit seiner Reifen testen will.
Wir stehen hinten auf der Ladefläche und müssen uns blitzschnell bei entgegenkommenden Ästen und Sträuchern ducken. Wir erreichen die Hauptstraße, schreien dem Fahrer "Gracias" zu und wollen schon abspringen, als er in die Richtung, in die wir müssen, lenkt und wir hinten stehen bleiben können. Setzen wollen wir uns nicht, da auf der Ladefläche sonst wohl Schweine transportiert werden und es doch ziemlich dreckig ist. Ganz versaut in der Schule ankommen wollen wir dann auch nicht. Also stehen wir zu zweit hinter dem Fahrerhaus und lassen uns bei 80-100km/h den Fahrtwind durch die nassen Haare pusten. Nach 3km springt Flo ab, ich muss noch 2km weiter fahren, kann mich aber ins Fahrerhaus setzen und eine kleine Konversation mit dem Fahrer führen. Die meisten Leute wollen nur wissen, woher wir kommen, was wir hier machen und ob es uns in Ecuador gefällt. Auch diesmal verläuft die Unterhaltung wie so viele Male davor schon.

Um 7:45h komme ich in "La Abundancia" an. Zahlen muss ich dem Fahrer nichts. Ein "Gracias" reicht ihm völlig aus und wir werden ihn wohl morgens noch des Öfteren sehen. Auf dem kurzen Fußweg zur Schule grüßen mich viele Schüler mit "Buenas Dias, Profesor". Die hier übliche Anrede für Lehrer. Die anderen Lehrer sind auch schon teilweise da und quatschen über Kosmetik oder was sonst noch so wichtiges vor dem Unterricht besprochen werden muss. Vorbereitet hat niemand seinen Unterricht, auch ich nicht. Ich vertraue ganz auf meine Improvisationskünste und weiß, dass das kein Problem sein wird.

Um 7:55h müssen sich die Schüler vor der Schule nach Klassen und Geschlechtern geordnet aufstellen, strammstehen und ein paar kleine Bewegungsübungen machen. Nacheinander gehen sie dann in ihre Klassen. Naja, nicht "in", sondern eher "in Richtung" ihrer Klassen, denn erst wenn die Lehrkräfte kommen, finden sich alle Schüler in den Klassen ein. In der 1. Stunde muss ich eine 2. Klasse in Englisch unterrichten. Gut gelaunt und hochmotiviert gehe in die Klasse. Sind ja auch ganz süße Kinder. Ein "Good Morning" klappt noch, alles, was ich dann mache, nicht mehr. Nicht einmal nachsprechen können sie. Ich weiß nicht genau, wodran es liegt, aber die Kinder haben einfach keine Disziplin, keinen Respekt, absolut keine Lust irgendetwas zu lernen (wenn man hier Kinder fragt "Magst du es in die Schule zu gehen", lautet die Antwort immer "jaaa".
Wo hat man sowas in der Deutschland, dass Kinder gerne zur Schule gehen???), ungewaschen und dumm sind sie zum Teil auch noch. Es ist unmöglich, alle Kinder gleichzeitig zum Sitzen auf ihrem Platz zu bewegen. Ich versuche zumindest einzelnen lernwilligen Schülern eine korrekte Aussprache des Englischen beizubringen und werde hinter meinem Rücken beworfen. Daraufhin habe ich die Gelassenheit nicht wahllos irgendwelche Kinder zu verhauen, sondern beschränke mich darauf, mögliche Gegenstände zum Werfen (Murmeln, Früchte, halt Sachen, die auch noch Wert für die Kinder haben) aus dem Fenster zu schmeissen und mir nur bildlich vorzustellen, wie ich sie in bester Wild-West-Saloon-Schläger-Manier zermalmen würde. Pädagogisch handele ich mit Sicherheit sinnvoll, denn jedes Aufzeigen von Grenzen ist für die Kinder etwas neues, die, so scheint es mir, sowieso keinerlei Erziehung genossen haben. Am pädagogisch Wertvollsten wäre die kollektive Prügelstrafe, aber leider kann mir keiner erklären, warum diese in Ecuador verboten wurde.

In der 2. Stunde habe ich eine 6. Klasse in Sport. Das verspricht eine recht problemlose Stunde zu werden, da die Schueler, umso älter sie sind, umso anständiger sind. Viele Schüler fassen mich auf dem Weg zum Sportplatz am T-Shirt an oder wollen meine Hand halten. Am Anfang dachte ich, dass sie einfach nur freundlich sein wollen, aber mittlerweile habe ich begriffen, dass das für sie eine Art Statussymbol ist und mit Freundlichkeit absolut nichts zu tun hat. So mache ich den Kindern klar, dass ich keinerlei Körperkontakt haben will.

Ich lasse sie ein, zwei Aufwärmspiele spielen und dann wollen wir Fußball spielen. Sonst wird hier immer Jungen gegen Mädchen gespielt, was natürlich total unfair ist, also will ich mal die Welt verbessern und gemischte Mannschaften machen. Natürlich funktioniert es nicht.
Ein Junge, ein mir sehr unsympathisches Kind, aber ich muss ja objektiv sein, schubst ohne Grund ein Mädchen, welches hinfällt und zu heulen anfängt. Ich stelle den Jungen zur Rede und frage nach dem "Warum". Dreimal. Keine Antwort. Stattdessen spielt er die ganze Zeit mit einer Murmel und tut so, als wäre nichts passiert. Ich nehme ihm also die Murmel weg, schiesse sie vom Fußballplatz und ziehe ihn zu dem Mädchen, damit er sich entschuldigt. Ob er es nach weiterer dreimaliger Aufforderung getan hat, weiß ich nicht, aber zumindest fängt nun auch er an zu heulen. Ich gehe einfach weg, habe schliesslich eine Sportstunde zu geben. Er sucht die ganze Zeit seine Murmel. Pech gehabt, würde ich sagen.

Stunde um Stunde zieht sich der Tag hin. In der 6. Stunde unterrichte ich nochmals Sport. Diesmal mit einer 1. Klasse (ca. 4-5Jahre alt). "Unterrichten" ist vielleicht das falsche Wort. "Mich-als-Spielzeug-missbrauchen-lassen" wäre passender. Die Kinder sind alle total süss und klein. Also hebe ich eins aus Spaß hoch, damit es sich an der Torlatte festhalten kann. Eine Sekunde später wollen 30 Schüler an die Stange gehoben werden. *Uff*. Da die Stunde ziemlich lang ist und ich nicht 45min Kinder hochheben kann, fange ich, sie an den Armen wie ein Karussel im Kreis zu drehen. Super Idee. Auch nun wollen wieder 30 Kinder gedreht werden. Mir ist doch ganz schön schwindelig. Ich sehne mir die 13:00Uhr herbei und endlich, nach anstrengenden 45min (ich habe mehr Sport gemacht als alle Kinder) ist der Schultag rum. 5Stunden Schule und das sichere Gefühl, den Kindern einen schönen Tag, aber kein Englisch beigebracht zu haben.

Auf einem Pickup düse ich nach Hause und muss diesmal den Feldweg zurücklaufen, 12min bergauf, bergab bei der Schwüle. Aber man gewöhnt sich dran. Sowieso setzt mir das Klima nicht besonders körperlich zu, aber es soll im Winter ja noch heisser und feuchter werden. Mal schauen. Meine Gastmutter Judith hat das Essen schon fertig. Es gibt zuerst eine Suppe, dann Reis (Ohh, welch ein Wunder), Spaghetti und ein Stück Schweinefleisch. Insgesamt sehr lecker, vorallem der frischgemachte Saft dazu und die frische Ananas zum Nachtisch. Das Spanische ist auch schon besser geworden. Ich sprach am Anfang kein einziges Wort und jetzt kann man schon viel verstehen und zumindest schon sagen, was man begehrt.

Um 14:00h kommt dann auch Flo nach Hause, er hat schon in der Schule gegessen. Wir fangen gleich an zu arbeiten, schliesslich brauchen wir noch 3Stunden Arbeit. Unser Gastbruder Stalin führt uns zum Schweinestall. Wir dürfen die Ferkel an den mit Scheisse beschmierten Füßen hochheben und ihnen eine Vitaminspritze in den Oberschenkel verpassen. Eine doch sehr schöne Erfahrung. Danach machen wir Schokolade. Ich entzünde ein Feuer und wir erhitzen eine Schüssel mit Kakaobohnen. Wenn man die Schale mit zwei Fingern zerbrechen kann, kann man die Bohnen vom Feuer nehmen. Dann entfernen wir von allen die Schalen und achten darauf, dass kein Dreck oder zumindest wenig mit in die Schüssel kommt. Dann geht es ans Mahlen. Ich drehe die Mühle und Flo schmeisst einzelnd die Bohnen rein. Nach der halben Masse wechseln wir. Das geht ganz schön in die Arme. Aus der Mühle kommt dann eine dickflüssige, zähe Masse purer Kakao. Schmeckt nicht besonders gut. Diese wird dann nochmals über dem Feuer unter Zugabe von Milch und Naturzucker erhitzt und fertig ist die Schokolade. Sie schmeckt zwar gar nicht so, wie man sie in Deutschland kaufen kann, da sie min. einen Kakaoanteil von 85% hat, aber an den leicht bitteren Geschmack gewöhnt man sich nach dem 5. Löffel.

Mittlerweile ist es 16:30h und Flo muss zum Fußball. Ich hingegen nehme ein wichtiges Projekt in Angriff: Ordnung in meinen 4 Wänden zu schaffen. Denn bis jetzt lebe ich aus dem Koffer und alle Sache liegen verstreut auf dem Fußboden. Hinzukommt, dass unser Dach ein wenig undicht ist (macht mir eigentlich nichts aus, da ich in der unteren Etage eines Doppelbettes schlafe) und so komischer Staub jeden morgen auf den Sachen liegt (Ich glaube, dass ist Fledermauskot). Zuerst haue ich 6 Nägel in die Wand, 3 auf jeder Seite. Dazwischen spanne ich eine Wäscheleine und im Nu besitze ich eine Art Wäschewandschrank. Für die Kleinigkeiten haben Flo und ich uns eine Regalkonstruktion ausgedacht. Nur da Flo gerade nicht da ist, nehme ich die Realisierung alleine in die Hand. Mittlerweile ist es schon dunkel geworden und ich muss Kerzen auf unserer Veranda anzünden. Mit Handsäge, Kreissäge und Kerzenlicht baue ich mir ein Regal ganz ohne Nägel und mit 3 Borten. Nach 3Stunden Arbeit bin ich endlich fertig. Meine Familie, ganz besonders mein Gastvater Angel sind begeistert. Auch Flo muss eingestehen, dass es nicht schlecht geworden ist, er seins aber besser machen will. Das schafft er eh nicht.

Wir essen noch Abendbrot (Reis mit Bohnen und ein Happen Fleisch) und gehen dann auch zu unserer Cabana. Es hat sich schon so routiniert, dass ich mich in die Hängematte lege (wir haben im Moment nur eine) und Flo auf dem Stuhl sitzt. Wir unterhalten uns noch ein wenig über den Tag, tauschen Hasstiraden auf die dummen Kinder in der Schule aus, ich höre Musik und dann machen wir uns bettfertig, was bei Flo natürlich wieder etwas länger dauert. Unsere Türen schliessen wir in der Nacht von innen ab, denn im Urwald gibt es bestimmt nicht nur Vögel. Vor dem Einschlafen kontrolliere ich noch die Reinheit der Luft in meinem Moskitonetz, wäre ja auch doof, wenn innen drinnen eine Mücke wäre. Das Bettlaken hat so einen angenehmen klammen Zustand, wie jeden Abend. Aber man gewöhnt sich dran. Schnell schlafe ich ein und wache erst am morgen wieder von dem nervigen Handyweckerklingelton auf.”




Wie ihr seht, habe ich mich gut eingelebt und auch wenn hier viele Dinge fehlen, geht es mir gut.
Ich habe mal eine Liste gemacht, was wir haben und was nicht. Nicht um Mitleid zu erwecken oder mich zu beklagen, sondern einfach nur um zu zeigen: Man kann auch einfacher leben und glücklich sein.

Wir haben
- kein fliessend Wasser
- keinen Spiegel
- kein Badezimmer
- ein 50m entferntes Klohäuschen mit Hand-Eimer-Spülung
- kein regendichtes Dach
- Mücken
- Fledermäuse an der Zimmerdecke
- morgens Krabbeltiere, Käfer oder Frösche in unseren Zimmern
- Früchte
- immer frische Luft
- zweimal am Tag Reis
- keinen Fernseher
- keinen Computer
- kein Telefon
- elektr. Licht
- 2Steckdosen
- immer feuchte Kleidung
- ein zu kleines Bett
- eine Wasserfalldusche
- andauernd krähende Hähne
- jeder unsere eigenen 4 Wände
--> alles was wir brauchen

Man muss hier viele Abstriche machen, was z.B. Lebensqualität oder Hygiene anbelangt, aber es ist nur für 1 Jahr und was uns nicht umbringt, macht uns härter =)
Zudem erleben und sehen wir hier viele neue, interessante Dinge. Wann macht man in Deutschland schonmal Schokolade selbst? Duscht regelmäßig unter einem Wasserfall? Sitzt auf der Veranda und im Baum nebenan sitzt ein Tucan (das ist dieser Vogel mit dem bunten Schnabel, der auf der einen Haribo-Packung drauf ist) und frisst eine Frucht? Wo isst man in Deutschland schon Orangen oder Bananen vom Baum?

Auch mit meiner Gastfamilie hatte ich echt Glück. Sind alles liebenswerte Personen, die uns das Jahr über auf jeden Fall unterstützen werden. Judith, unsere Gastmutter, ist 100%ige Hausfrau und hat immer etwas zu essen parat. Bei unserem Gastvater sind wir uns nicht ganz sicher wie er das Geld verdient, da er immer total gemütlich und entspannt durchs Leben schreitet und sich durch nichts hetzen lässt. Aber irgendwie funktioniert es.
Unsere drei Gastbrüder sind auch alle echt nett. Einer ist unter der Woche immer in einer anderen Stadt. Der Zweite kommt nur abends von der Schule zurück und der Dritte arbeitet den ganzen Tag auf der Finca.

Mit den anderen Zivis verstehe ich mich eigentlich auch gut, nur bilden sich jetzt schon merklich verschiedene Freundschaftsgruppen heraus, was auch ganz gut so ist.
Wir haben uns sogar schon am Freitag und am Samstag getroffen, um gemeinsam deutsch zu kochen und zu essen. Naja, am Freitag gab es Spaghetti, nicht besonders deutsch, aber hier sehr rar und lecker war es allemal. Am Samstag aßen wir dann Kaiserschmarrn mit Zimt und Zucker. Das war auch vorzüglich.


Während ich das hier schreibe, sitze ich gerade in einer neuen Hängematte auf unserer Veranda mit Daniels Laptop und schaue auf eine zweite, erst halbfertige Cabana ca. 5m entfernt. In 2 Wochen soll sie fertig sein und dann werden Flo und ich vielleicht umziehen, da es dort eine größere Veranda und ein dichtes Dach geben wird, was uns in der Regenzeit bestimmt etwas mehr Lebensqualität bringt. Oder unser jetziges Dach wird repariert.
Wooww, es ist 20:52h, 09.09.2007, unsere Cabaña wackelt 30s lang. Wenn das mal nicht mein erstes Erdbeben ist. Aber das Haus steht.


Ein spürbarer Mangel an Lebensqualität sind die fehlenden Kommunikationsmittel, wie oben bereits aufgelistet. Im 3km Ortskern von Puerto Quito gibt es eine Bibliothek mit kostenlosem Internet für Zivis, aber die hat nur unregelmässig auf, genau wie das Internet dann auch nur unregelmässig funktioniert, es aber regelmässig langsam ist.


Wenn ihr das hier gelesen habt, wisst ihr, es hat funktioniert =)



Lasset von euch hören,



Jan


Puerto Quito - My Life

Montag, 13. August 2007

Email vom 12.08.2008

Es ist Sonntag, ein Tag nach meinem Geburtstag und ich finde etwas Zeit um euch mal wieder ein wenig zu erzaehlen und zu berichten.

Seit meinem letzten Bericht sind erst 10Tage vergangen, doch hab ich in der Zeit schon wirklich viel erlebt.
So sind wir, wie schon angekuendigt, am 2.8 Abends mit dem Bus nach Bahi an die Kueste gefahren. Alleine die Busfahrt und das Einsteigen in den Bus sind schon erwaehnenswert. So hatte mein Gastbruder Carlos 3 Tage vor unserer Tour die Tickets mit Sitzplatzreservieren fuer 8$ pro Personen gekauft. Als wir dann um 21:30h am Busbahnhof ankamen, waren unsere Sitze schon belegt. Nach kurzer, knackiger Diskussion auf Spanisch verliessen wir den Bus, denn es stellte sich heraus, dass die Dame am Schalter wohl die gleichen Plaetze doppelt verkauft hatte. Meinem Gastbruder machte das nichts aus. Das war wohl so ein Vorfall, der nicht unueblich in Ecuador ist. Seinem Cousin Gabo allerdings, der, wie berichtet, vor 1 Monat aus den USA zurueckgekommen ist, fluchte den ganzen Weg zurueck zu dem Haus seiner Eltern, wo wir auf den naechsten Bus warten wollten, ueber die ecuadoriansche Desorganisation. Auch will er nicht in Ecuador bleiben, sondern nach dem Studium auswandern. Diesen Auswandergedanken haben viele junge Ecuadorianer. Sie sagen zwar, dass sie ihr Land lieben, aber hier bleiben wollen sie nicht.
Um 23:30h konnten wir in einem zweiten Anlauf unsere Tour beginnen. Im Grossen und Ganzen war die Fahrt schrecklich. Die Strassen in Ecuador sind uebersaeht von Schlagloechern, der Fahrer liebte es, den Motor aufheulen zu lassen und stark zu bremsen, die Sitzreihen sind fuer einen durchschnittlich grossen Europaer viel zu eng, die Luft wurde sehr schnell sehr feucht und heiss im Bus und man hoerte die ganze Fahrt ueber irgendeine gleichklingende Suedamerikanische Musik. Dennoch kamen wir gluecklich in Bahia an der Pazifikkueste an. Das Bad im Pazifik war wirklich angenehm, da das war sehr warm ist.

Gegen Nachmittag fuhren wir dann per Bus 1h ins Landesinnere nach San Isidro zu Carlos Grossmutter. Sie wohnt, ich glaube mit ihren Schwestern, in einer Holzhuette auf einer kleinen Bananenplantage. Man konnte zwar durch alle Holzwaende gucken und ganz stabil sah das Haus auch nicht mehr aus, aber es war erst wenige Jahre alt, da der Bach hinterm Haus waehrend des El Niños das alte Haus komplett weggerissen hatte.

Die Zeit in San Isidro war wirklich sehr gemuetlich und interessant. Das Dorf war zwar total langweilig, es schien foermlich stillzustehen, daran aenderte auch der an dem Wochenende aufgebaute Jahrmarkt nichts. Aber alleine das Uebernachten in so einer Huette, das taeglich frische Obst, die stets von der hohen Luftfeuchtigkeit klammen Kleider, das Fahren mit 18 Leuten in einem Jepp und das anschliessende Baden im Fluss waren wirklich sehr erfahrungsreich.

Und wie koennte es anders in Ecuador sein: Wir kamen natuerlich nicht am Montag Morgen zurueck, sondern blieben spontan, aber tlw. unfreiwillig (es kam kein Bus) bis Dienstag Abend. Auf der Ruecktour sass ein nicht gerade gut gewaschener Indio neben mir, das erscherte zunaechst das Einschlafen, aber mit offenem Fenster gelang es mir zumindest teilweise.

Ein weiteres Erlebnis war die Besteigung des Pichincha am Freitag, den 10.8 (wir hatten aufgrund eines Nationalfeiertages schulfrei).
Mit insgesamt 12 Zivis traten wir die Tour an. Mit viel Wasser und kleinen Schritten schafften wir es alle bis zum Gipfel in 2:40h und keiner hatte irgendwelche koerperliche Beschwerden wie Atemnot oder Kopfschmerzen. Oben dann angekommen, zogen innerhalb von 3min Wolken ueber den Berg und wir sassen in einer dicken Wolkensuppe. Wir verweilten dort ca. 20min und machte Photos.
Der Abstieg gestaltete sich als schwieriger und gefaehrlicher als der ohnehinschon spannenden Aufstieg, da die Sicht sehr beschraenkt war, die Finger anfingen abzufrieren, man sich aber dennoch an den Felsen festhalten musste und zu guter Letzt waren die letzten 200m unterhalb des Gipfels voll mit losen Steinen und Felsbrocken, so dass sich ein Felsbrocken durch einen hinten gehenden Zivi loeste (ungefaehr in der Groesse des Steines vor unserem Haus) und auf uns, die vor ihm liefen herunterrollte und herunterprang. Ich konnte mich noch wegdrehen und wurde nur am Arm gestriffen, Daniel der vor mir ging (er hatte nur eine kurze Hose an) wurde jedoch heftiger gestriffen und blutete danach am Handgelenk und an der Wade. Der Stein rollte dann weiter mit einigem Laerm den Abhang hinunter, traf jedoch wahrscheinlich keinen mehr. Haette der Stein jemanden frontal getroffen, waere er hoechstwahrscheinlich schwer verletzt oder tot gewesen. Sowieso waren die letzten 200m vor dem Gipfel sehr gefaehrlich, aber es hat auch viel Spass gemacht und man hat wirklich gemerkt, wo der Koerper seine Grenzen hat und wo man nur noch mit Willen weiterkommt.

Am naechsten Tag hatte ich Geburtstag und wurde sehr zu meiner Freude gleich nach dem Wachwerden dreimal von verschiedenen Familienmitgliedern aus Deutschland angerufen. Als Geschenk war das schon genug, denn ich hab hier bis jetzt alles was ich brauche. Auch sehr gefreut habe ich mich ueber die zahlreichen EmailRueckmeldungen und Glueckwuensche, sodass ich einen Grossteil des Vormittags mit den Emails beschaeftigt war.
Am Abend kamen dann 10meiner Kampfgefaehrten zu einer kleinen Geburtstagsparty vorbei. Es war sehr schoen mal wieder Musik aus Deutschland zu hoeren. Um 0:00h fuhren wir in die Stadt ins Touristen- und Barviertel. Ein sehr schoene, wenn natuerlich auch wehmuetiger Geburtstag, da man gewisse Personen doch schon gerne an seinem Geburtstag um sich haette.




Nun werd ich noch ein paar Hausaufgaben machen und mir Spiegeleier machen.
Ich hoffe euch hat der Bericht gefallen, wenn nicht, einfach sagen und ich streich euch von der Verteilerliste =)


Pichincha

Donnerstag, 9. August 2007

Ausflug nach San Isidro

Vom 3.8 bis zum 8.8 machten Carlos, sein Cousin Gabo, seine Cousine Maniela und ich einen netten Ausflug zuerst an den Pazifik nach Bahia und dann ins 1h landeinwaerts gelegene San Isidro, wo wir bei seiner Oma naechtigten.

In San Isidro war ueber das Wochenende eine Art Jahrmarkt aufgebaut, sehr zur Freude des ganzen Dorfes, denn es schien mir, dass dort sonst die Zeit still steht.
Aufgefallen ist mir dort sehr stark der mangelnde Wille des Ecuadorianers zur Optimierung. So leben die Menschen dort tlw. in halbfertigen Haeusern und die Baumaterialien liegen einfach hinterm Haus. Das Hauptmotte ist "es laeuft", wie gut es dann laeuft, interessiert niemanden mehr. In Deutschland ware sowas undemkbar, denn wenn man etwas besser machen kann, dann wird das auch besser gemacht. Aber die Menschen hier sind gluecklich damit und daher sollte sie auch so leben lassen. Auch noch aufgefallen ist mir, dass mangelnde Umweltbewusst sein. Von Kleinkindern bis hin zu aelteren Personen schmeisst jeder Muell, der gerade z.B. von Eisverpackungen anfaellt, einfach auf den Boden. Aber vielleicht liegt die Ursache des fehlenden Optimierungswillen auch an der enormen Schwuele, die einen Grossteil des Tages ueber dem Dorf liegt. Das fuehrte dazu, dass auch wir die meiste Zeit des Wochenendes liegend oder haengend (Haengematte) verbrachten.

Hier ein paar Eindruecke:

Ausflug zu Carlos Oma


Morgen haben wir schulfrei und wollen auf den Pichincha klettern. Mal schauen was das wird.

Buenas tardes

Mittwoch, 8. August 2007

Die email vom 2.8 + Bilder

Buenas tardes amigos,

Es ist 14:30h am Donnerstag den 2.8.2007.
Ich bin soeben mit dem Mittagessen fertig geworden. Es gab (wie sooft) Huehnchen mit Reis. Zurzeit ist niemand direkt aus meiner Gastfamilie im Haus. Meine Gastmutter ist arbeiten und Carlos erledigt irgendwelche Geschaefte fuer seine Schwestern die gerade hier sind. Er hat 3 Schwestern im ALter zwischen 20-30Jahre und sie kommen nur manchmal hierher. Sind haben alle schon kleine Kinder, 3 an der Zahl, der aelteste ist 6, die juengste keine 3monate und schwanger sind 2 anscheinend auch schon wieder. ABer so wird es zumindest nicht langweilig.

Ich bin schon / erst 1 Woche hier, aber einen Kulturschock oder aehnliches habe ich nicht bekommen. Im Gegensatz, ich fuehle mich recht wohl und heimisch hier und habe auch noch keine grossartigen Abstriche in der Lebensqualitaet hinnehmen muessen (das erwartet mich bestimmt erst ab September in Puerto Quito). Generell wurden wohl alle Zivildienstleistenden in Familien mit gehobenen Einkommen geschickt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die durchschnittliche ecuadoriansche Familie einen Ingenieur als Familienvater und in den USA studierende Kinder hat.

In meiner Familie arbeitet (so wie es sich bis jetzt mir offenbart) nur die Mutter und das von morgens 7h bis abends 19:00h. An so einem 12h Tag kann sich mal so mancher deutscher Gewerkschafter ein Beispiel nehmen :D Mein Gastbruder Carlos studiert und hat zur Zeit Semesterferien, was dazu fuehrt, dass wir viel gemeinsam unternehmen (wenn ich keine Schule hab). So waren wir gestern mit seinem Cousin Gabriel (Spitzname Gabo) im Kino. Wir sahen den Film "Los Simpsons" fuer nur 1,50$. In den Kino hier werden mit dem Ticketkauf keine Sitzplaetze vergeben. Wir waren zum Glueck sehr frueh da und sassen dann ungefaehr im vergleichbaren deutschen Logenbereich. Als sich das Kino allmaelich fuellte, gab es jedoch tlw. chaotische Zustaende, da die ersten Reihen auch hier in Ecuador, wo die Menschen eh so klein sind, sehr unbeliebt sind.

Nach dem Kinobesuch fuhren wir per Bus und Taxi zu Carlos Vater. Ich weiss gar nicht, ob ichs schonmal erzaehlt habe, aber Carlos Eltern leben getrennt, sein Vater ist Ingenieur und hat nen ziemliches schickes Haus in einer abgeschlossenen Wohngegend (gated community). Es ist mehr ein Doppelhaus, da in der einen Haelfte auch noch Carlos Oma und Opa leben. Denen statten wir selbstverstaendlich immer auch einen Besuch ab. Mich beschleicht jedes Mal das Gefuehl, dass ich in einem Mafiafilm bin, da sein Opa ein wenig wie ein Pate aussieht. Wenn sein Grossvater muede ist, sitzen wir in seinem Schlafzimmer, er liegt im Bett, trinkt Kakao und haelt Haendchen mit seinem Sohn oder Enkel. Die Gastfreundschaft ist jedes Mal (egal bei welchem Familienteil wir aufkreuzen) umwerfend. So wird man immer geradezu genoetigt noch etwas zu essen oder zu trinken (bei Carlos Grosseltern vorallem schoenen heissen Kakao). Generell ist die Stimmung zwischen den Menschen sehr herzlich. So herzt und kuesst man seinen Gegenueber zur Begruessung auf die Wange, Familienmitglieder fassen sich staendig an oder kuessen sich auf die Stirn.

Mein Spanisch nimmt langsam, aber stetig an Qualitaet und Quantitaet des Vokabulars zu. Die Schule ist zwar ganz cool, da wir immer nur Klassen von 5-7 Leuten sind, man dort die anderen Deutschen trifft und es gut was zu essen gibt, aber so von 8:30h bis 12:30h nur Spanisch ist schon nicht leicht. Niht besonderlich foerdlich ist zudem, dass Carlos sein Englisch verbessern will und sein Cousin Gabo (der eigentlich immer dabei ist) vor 1 Monat aus den USA zurueckgekommen ist und sich gefreut hat, dass hier jemand English spricht. Aber ich werde die naechsten Tage mal einwenig energischer auf das Spanisch pochen.

Morgen, Freitag, werde ich boesartiger Weise jedoch die Schule schwaenzen, da Carlos, sein Cousin Gabo und ich an die Kueste fahren, da dort irgendein dolles Festival stattfindet. Die Fahrt startet heut Abend um 21:00h und dauert 7h. Naechtigen werden wir bei deren Oma. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was mich erwartet, denn eines habe ich schon gelernt: Wenn jemand sagt "Wir treffen uns dort, um die Uhrzeit mit den und den Leuten", dann kann man davon ausgehen, dass um die Uhrzeit garantiert nicht eingehalten wird, der Ort verlegt wurde und man letztendlich alleine dort eintrifft. Aber das ist alles nur eine SAche der persoenlichen Einstellung =)


Nun muss ich wieder in die Schule und mir irgendeinen Vortrag ueber Visa und sonstige formelle Vorgaenge anhoeren.


Ich wuerde mich ueber Rueckmeldungen und Berichte aus eurem Leben freuen =)



Jan


Quito - ein paar Photos

Freitag, 27. Juli 2007

Mein 2. Morgen in Quito

09:15h, Quito

Ich fuehle mich hellwach, die Sonne scheint und seit Stunden fahren schon Autos vor meinem Fenster enlang, pusten schwarze Abgaswolken in die noch so relativ reine Morgenluft. Ich bin schon seit 7:00h wach. Nicht wegen der Autos, dem Flughafen in Sichtweite oder der klaeffenden Strassenkoeter, sondern einfach weil meine biologische Uhr mir sagte: "Jan, es ist 14:00h in Deutschland, zu dieser Zeit bist du die letzten 3 Monate aufgestanden". Nun sitze ich hier und warte auf mein Fruehstueck.

In der Zeit kann ich euch noch ein wenig von den letzten Tagen erzaehlen.
Am Mittwoch, den 25.07.2007, flogich um 6:00h von Bremen los. Kurz zuvor erlebte ich den traurigsten Moment meines Lebens, der Abschied von Cathrin vor den Sicherheitskontrollen.

Um 7:00h landete ich in Frankfurt und versuchte ein wenig Schlaf auf 2 Stuehlen zu bekommen, was eher misslang. Um 8:30h trudelten dann die ersten anderen Zivis ein und man konnte zumindest mit jemanden labern.

Amuesant waren die Sicherheitsleute in Caracas,die versuchten in ihren geschmueckten Uniformen ganz ganz wichtig zu erscheinen. Komplikationen gab es aber keine.

Nach 24h landeten wir endlich in Quito. Was uns erwartete, war eine riesige Menschenmenge, die Schilder mit Namen der Ankommenden hochhielt. Ich wurde von Carlos, meinem Gastbruder, und einem Freund von ihm abgeholt. Zum Glueck sprechen die jungen Leute hier alle Englisch, sonst waere der 1. Tag bestimmt anders verlaufen.
Als wir zuhause ankamen, tranken wir fix irgendeinen mir unbekannten braunen Saft (schmeckte aber vorzueglich!!) und dann fiel ich um 0:15h in mein grosses Bett.

Wir wohnen in dem 2Stock eines 3stoeckigen Gebaeudes, welches in einer abgeriegelten (mit sonem Eisentor halt) Sackgasse liegt (Bilder der Wohnung fuege ich an).

Am 26.7 fruehstueckten wir morgens Spiegeleier, Broetchen mit Kaese und tranken Erdbeermilch und O-Saft (der O-Saft schmeckte ein wenig nach Jugendherberge^^). Dann besuchten wir diverse Verwandte von Carlos und fuhren ein wenig durch Quito. Nach einer halben Stunde Fahrt mit offenem Fenster bekam man auch schon schoene Kopfschmerzen von den Abgasen. Es ist wirklich beeindruckend wie viel schwarze Abgase ein Bus oder ein LKW beim Anfahren in die Luft pusten kann. Das Wort "Katalysator" wurde wohl noch nicht ins Spanische uebersetzt :)

Im Laufe des Tages fuhren wir ne Menge mit dem Bus und mit Taxis. Eine Busfahrt kostet 25cent und eine Taifahrt auf relative Kurztrecken 1$ (Fahrtzeit ca. 5-6min).

Am Nachmittag zeigte ich Carlos Oldenburg per GoogleEarth und spaeter kam sein Cousin und wir fuhren (mit dem Taxi natuerlich) zum Fussball. Die Ecuadorianer spielen viel verbissener und ernster als ich es aus Deutschland von einem Freundschaftsspiel kenne. Vielleicht liegt es auch daran, dass man 1$ zahlen muss, wenn man mitspielen will und die Gewinnermanschaft bekommt den Gesamtbetrag.

Nun ist auch Carlos und sein Cousin wach und wir werden fruehstuecken.

Adios, Jan

Quito - meine Wohnung